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Dysgraphie: Wenn das Schreiben zur Herausforderung wird

Dysgraphie ist eine spezifische Lernstörung, die die grafische Gestaltung des schriftlichen Ausdrucks beeinträchtigt. Der Begriff stammt aus dem Griechischen: „grafein“ bedeutet „schreiben“, die Vorsilbe „dys-“ steht für „gestört“ oder „erschwert“.


Dysgraphie betrifft vor allem die visuelle und motorische Ausführung beim Schreiben – das Erlernen von Buchstaben, das Nachahmen ihrer Formen, das Zuordnen von Lauten zu Buchstaben und deren Reihenfolge.


Kinder mit Dysgraphie haben Schwierigkeiten mit der Motorik, der Automatisierung von Bewegungen sowie mit der sensomotorischen Koordination. Sie erinnern sich nicht an Buchstabenformen, verwechseln ähnlich aussehende Buchstaben. Ihre Schrift wirkt ungeordnet, schwerfällig und unbeholfen. Das Schreiben zwischen den Linien (Linienführung) sowie die Buchstabengröße bereitet ihnen oft große Mühe. Sie schreiben langsam, mühsam und halten das Schreibgerät häufig falsch. Die Konzentration auf die grafische Ausführung behindert zudem die Aufmerksamkeit für Rechtschreibung und Inhalt.


Ursachen der Dysgraphie liegen meist in Defiziten der grob- und feinmotorischen

Fähigkeiten, der Bewegungskoordination, visuellen und motorischen Gedächtnisleistungen, der Raumwahrnehmung, der Aufmerksamkeit und der Koordination zwischen den Systemen, die notwendig sind, um auditive oder visuelle Reize in geschriebene Sprache zu übertragen – also z. B. die Verbindung von Phonem und Graphem oder von Druck- und Schreibschrift.

Beim eigentlichen Schreibprozess zeigen sich häufig zwei Extreme: Das Schreibtempo ist entweder sehr langsam oder übermäßig schnell und fahrig. Meist treten mehrere Schwierigkeiten gemeinsam auf: eine beeinträchtigte Feinmotorik, eine eingeschränkte visuelle Vorstellungskraft (die Vorstellung von Buchstabenformen) und eine mangelnde Speicherung motorischer Bewegungsmuster.


Typische Anzeichen von Dysgraphie im Grundschulalter

  • schlechte grafische Gestaltung des Schriftbilds

  • langsames Arbeitstempo, viele Fehler – insbesondere bei Diktaten oder zeitlich begrenzten Aufgaben

  • Schwierigkeiten auch in Mathematik: fehlerhafte Zahlenschrift, Probleme bei Textaufgaben

  • unordentliche Strukturierung von Texten

  • Probleme mit der Einhaltung der Zeilenführung

  • ungewöhnlich große oder sehr kleine Buchstaben

  • phonetisches Schreiben (Wiedergabe des Gehörten)

  • Unfähigkeit, den geschriebenen Text selbstständig zu überarbeiten

Quelle: Miroslava Bartoňová, 2018


Primäre Reflexe und ihre Rolle bei Dysgraphie

Persistierende frühkindliche Reflexe (primäre Reflexe) können zahlreiche Symptome der Dysgraphie verursachen. Hier einige Beispiele:


Moro-Reflex:

  • beeinträchtigt die Konzentration

  • erhöht die Empfindlichkeit für visuelle und auditive Reize – das Kind reagiert auf jedes Geräusch und jede Bewegung

  • führt zu Reizüberflutung, Rückzug und vermindertem Körperbewusstsein (Propriozeption)


Asymmetrischer tonischer Nackenreflex (ATNR):

  • führt dazu, dass sich beim Blick nach rechts der rechte Arm und die Finger strecken – Schreiben wird mühsam

  • Kinder kompensieren, indem sie das Papier um bis zu 90° drehen oder einen ungewöhnlichen Schriftwinkel entwickeln

  • verursacht krampfartiges Stifthalten und beeinträchtigt die Hand-Auge-Koordination

  • behindert die Entwicklung überkreuzender Bewegungsmuster und stört die Zusammenarbeit der Gehirnhälften.


Palmarreflex:

  • bei Berührung der Handfläche schließt das Kind reflexartig die Faust – es hält den Stift weiterhin im Greifgriff


Tonischer Labyrinthreflex (TLR):

  • beeinflusst den Muskeltonus beim Blick in das Heft – das Kind „fällt zusammen“, legt den Kopf auf die Hand, entwickelt Hypotonie

  • schwache Raumwahrnehmung, häufig verbunden mit Gleichgewichtsproblemen – führt zu Buchstaben- und Zahlendrehungen

  • beeinträchtigt Grobmotorik und Bewegungskoordination.


Symmetrischer tonischer Nackenreflex (STNR):

  • erschwert den schnellen Wechsel der Blickfokussierung zwischen Tafel und Heft – Textabschreiben wird mühsam

  • verursacht Gleichgewichtsprobleme und beeinträchtigt die Hand-Auge-Koordination

  • Kinder wickeln oft ihre Beine um die Stuhlbeine, sitzen auf den Füßen oder kippen mit dem Stuhl – alles zur Stabilisierung gegen die Beinbewegung


Dysgraphie ist weit mehr als nur eine „unschöne Handschrift“ – sie ist das Ergebnis komplexer Schwierigkeiten in Motorik, Koordination und sensorischer Verarbeitung. Persistierende frühkindliche Reflexe, die im frühen Kindesalter gehemmt sein sollten, können das Schreiben erheblich beeinträchtigen und das Selbstbewusstsein des Kindes schwächen. Wenn ein Kind trotz Übung und Anstrengung mit dem Schreiben kämpft, lohnt sich ein genauerer Blick – nicht nur auf die Schrift, sondern auch auf grundlegende entwicklungsneurologische Zusammenhänge.


Die Neuro-Entwicklungsstimulation (auch bekannt als NDS Active Learning®) bietet mit gezielten Bewegungsübungen eine Möglichkeit, das Nervensystem zu stärken, verbliebene Reflexe abzubauen und die Zusammenarbeit von Sinneswahrnehmung und Motorik zu verbessern. Eine frühzeitige Erkennung und gezielte Unterstützung können nicht nur das Schreiben erleichtern, sondern auch den schulischen Erfolg und das emotionale Wohlbefinden des Kindes nachhaltig fördern.


Autorin: PhDr. Marja Voleman, PhD.

Veröffentlicht: 27.04.2022,

Deutsche Übersetzung: 07.07.2025


Quellen:


  • Bartoňová, Miroslava (2018). Specifické poruchy učení. Brno: Paido.

  • Volemanová, Marja (2019). Přetrvávající primární reflexy, opomíjený faktor problémů učení a chování. Statenice: INVTS

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