Primäre (Frühkindliche) Reflexe sind wie Autobahnbauer
- Marja Volemanová
- 3. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Juli

Wie ist es möglich, dass primäre (frühkindliche) Reflexe manchmal bestehen bleiben, und was können wir tun, um sie zu hemmen?
Die Funktion der primären Reflexe lässt sich folgendermaßen vorstellen: Die Natur hat uns verschiedene Bewegungsprogramme ins Gehirn gelegt. Doch bei der Geburt sind die Verbindungen im Gehirn noch nicht ausreichend entwickelt, sodass diese Programme noch nicht genutzt werden können. Um diese Phase zu überbrücken, hat die Natur die primären Reflexe geschaffen. Sie helfen dabei, „Autobahnen“ im Gehirn zu bauen und bereiten den Boden für zukünftige Bewegungsfähigkeiten.
Primäre Reflexe „sitzen“ im Hirnstamm, also in den unteren Hirnregionen, wo auch Reflexe für Atmung, Herzschlag und andere lebenswichtige Funktionen liegen. Bewegungsprogramme hingegen sind in höheren Hirnregionen gespeichert. Primäre Reflexe entwickeln sich bereits während der Schwangerschaft und spielen eine Schlüsselrolle bei der Geburt – sie helfen dem Kind, komplikationsfrei auf die Welt zu kommen. Nach der Geburt ermöglichen sie dem Kind, auf die Umwelt zu reagieren und stimulieren gleichzeitig das Gehirn, so dass neuronale Verbindungen entstehen – eben diese „Autobahnen“ zu den Bewegungsprogrammen.
Was passiert, wenn die primären Reflexe ihre Aufgabe nicht erfüllen können? Sie brauchen genügend Reize und Gelegenheiten, um diese „Autobahnen“ zu bauen. Wenn ein Kind aber zu wenig Bewegungsmöglichkeiten hat – etwa durch zu viel Zeit im Autositz, auf weichen Kissen oder in anderen passiven Positionen –, schaffen es die Reflexe nicht, die „Autobahnen“ rechtzeitig fertigzustellen. Das Kind wächst zwar und will die Welt entdecken, sucht sich aber alternative „Landstraßen“. Auf diesen kann es zwar grundlegende Bewegungen wie Drehen, Krabbeln und Gehen lernen, doch diese Wege sind langsamer, unbequemer und weniger effizient.
Die Folge sind weniger effektive Bewegungsmuster, die sich sogar bei Sportlern zeigen können. Obwohl sie körperlich fit sind, können diese weniger effizienten Bewegungen ihre Leistung begrenzen. Verletzungen treten häufiger auf, und Grenzen werden schneller erreicht. Bei Kindern können motorische Probleme, wechselnder Muskeltonus in Abhängigkeit von Kopfbewegungen, Schwierigkeiten beim Sitzen in der Schule oder bei der Konzentration auftreten. Auch das Schreiben und Lesen kann durch unruhige Augenbewegungen beeinträchtigt sein.
Wir müssen also die „Autobahnen“ bauen, die direkt zu den richtigen Bewegungsprogrammen führen. Sind diese Autobahnen erst gebaut, werden sie zum direkten, effizienten Weg. Die verschlungenen „Landstraßen“ werden überflüssig. Die Nutzung dieser direkten Wege führt natürlich zur Hemmung der primären Reflexe, weil sie nicht mehr gebraucht werden. Ausnahme sind große Traumata (Unfall, Stress, psychische Verletzungen), die die primären Reflexe vorübergehend „reaktivieren“, da die „Autobahnen“ repariert werden müssen. Bei bleibenden Hirnschäden (z.B. nach einem Unfall oder durch degenerative Erkrankungen) können primäre Reflexe wieder auftreten, weil die „Autobahnen“ unbrauchbar geworden sind.
Unter normalen Umständen bleiben gut gebaute „Autobahnen“ funktionstüchtig, und es gibt keinen Grund, zu weniger effizienten Wegen zurückzukehren.
Was tun, wenn primäre Reflexe bestehen bleiben?
Wenn primäre Reflexe bestehen bleiben, müssen wir sie zunächst „stärken“ und ihnen mehr „Ressourcen“ (Energie) geben, damit sie wieder mit dem Bau der „Autobahnen“ beginnen können. Wenn lange nur „Landstraßen“ benutzt wurden, fällt es dem System schwer, in den Bau der Autobahnen zu investieren. Zu Beginn des Hemmens der primären Reflexe kann es daher zu „Verkehrsbehinderungen“ und „Staus“ kommen – der Zustand kann sich vorübergehend verschlechtern. Sobald die „Autobahn“ aber fertig ist, verbessert sich die Situation, und das Kind will nicht mehr auf die alten Wege zurück.
Im Gegensatz zu echten Autobahnen nutzen sich die neuronalen Verbindungen durch Nutzung nicht ab – im Gegenteil: Sie werden stärker und besser. Man kann sie sich vorstellen wie einen Pfad im Gras: Wird er benutzt, bleibt er sichtbar und funktionstüchtig, wird er vernachlässigt, wächst er langsam zu und verschwindet.
Mit Hilfe der Neuro-Developmental Stimulation (NDS) können wir primäre Reflexe so stimulieren, dass sie „Autobahnen“ bauen und sich dadurch natürlich hemmen. So öffnet sich für das Kind der Weg zu effizienteren Bewegungsprogrammen und einem besseren Bewältigen alltäglicher Anforderungen.
Autorin: PhDr. Marja Voleman, PhD.
Datum der Veröffentlichung (auf Tschechisch) : 8.12.2024
Datum der Veröffentlichung (der deutschen Übersetzung) : 3.7.2025
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