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Frühkindliche Reflexe bei Schulkindern

Bewegungen, die durch frühkindliche Reflexe ausgelöst werden, helfen beim Aufbau eines dichten neuronalen Netzwerks, das die Verbindung verschiedener Gehirnbereiche ermöglicht. Diese Verbindungen sind entscheidend für spätere Lernprozesse, Kommunikationsfähigkeiten, emotionale Bindungen und Motivation. Wenn sich höhere Gehirnzentren entwickeln, beginnen diese Reflexe zu stören – sie müssen gehemmt werden, damit sich das Gehirn neurologisch korrekt weiterentwickeln kann.


Kinder mit Lernstörungen, Aufmerksamkeitsproblemen oder anderen Beeinträchtigungen zeigen häufig auch persistierende frühkindliche Reflexe. Das ist logisch: Ihr Gehirn hat sich nicht optimal entwickelt und konnte diese Reflexe nicht vollständig hemmen. Die Reflexe beeinflussen weiterhin den Muskeltonus, die Körperhaltung, die Bewegungskoordination, die Konzentration, die Augenbewegungen, die Zusammenarbeit der Gehirnhälften und viele andere Bereiche – genau wie bei einem Säugling. Diese persistierenden Reflexe können daher Symptome hervorrufen, wie sie bei Lernstörungen, Sprachentwicklungsstörungen oder Aufmerksamkeitsproblemen (ADHS, ADS) auftreten.


Wenn diese Schwierigkeiten durch frühkindliche Reflexe verursacht sind, ist es wichtig, diese Reflexe zu hemmen. Andere sonderpädagogische Methoden greifen bei diesen Kindern nicht effektiv. Nach der Arbeit mit frühkindlichen Reflexen kann es sein, dass die Schwierigkeiten ganz verschwinden. Es ist aber auch möglich, dass das Kind tatsächlich eine Lern-, Sprach- oder Aufmerksamkeitsstörung hat, die den neurologischen Entwicklungsprozess beeinträchtigt hat. Durch die Hemmung der Reflexe können diese Probleme zumindest gelindert werden – vollständig verschwinden sie unter Umständen nicht. Wichtig ist daher die Zusammenarbeit mit weiteren Fachbereichen, z. B. Logopädie, Sonderpädagogik, Physiotherapie oder Ergotherapie.


Die Entwicklung eines Kindes ist wie das Wachsen eines Baumes. Wir sind es gewohnt zu fragen, ob ein Kind gut lesen, schreiben oder rechnen kann – aber das sind die „Äpfel“ unseres Baumes. Um schöne rote Äpfel zu bekommen, brauchen wir einen starken, gut verwurzelten Baum. Aus den Wurzeln wächst ein stabiler Stamm, daran starke Äste, Blätter und Früchte. Auch wenn jeder Baum individuell ist, folgt er dennoch denselben Naturgesetzen und Prinzipien.



Der Entwicklungsbaum
Der Entwicklungsbaum

Deshalb ist es in der kindlichen Entwicklung und Erziehung wichtig, folgende Ebenen zu betrachten:

  • Wurzeln – Geburt und erste Lebensmomente

  • Stamm und Äste – Psychomotorische Entwicklung des Kindes

  • Baumkrone – Sensorische und emotionale Fähigkeiten, Zusammenarbeit der Gehirnhälften, binokulares Sehen

  • Früchte – Schulische Kompetenzen, Sprache, Körperhaltung, Bewegungskoordination


Ist der Baum nicht stark genug oder das Fundament instabil, kann man darauf nicht aufbauen. Für manche Kinder sind herkömmliche Methoden schlicht zu anspruchsvoll. Man muss am Anfang beginnen!




NDS – Probleme an der Wurzel lösen


Mit der Neuro-Entwicklungsstimulation (NDS) beginnen wir bei der Basis. Wie es der angesehene britische Lernforscher A. E. Tansley treffend formulierte:

Bevor wir die sozial-emotionalen Aspekte betrachten, müssen wir uns fragen:  Hat dieses Kind die neurologischen Voraussetzungen, um in seinem Alter erfolgreich zu sein?“
(„…before looking for social-emotional aspects, first we must ask: does this child have the neurological equipment needed to succeed at his age…???“) (zitiert in Zweegman, 2010)



Für erfolgreiches Lernen und angemessenes Verhalten braucht es eine gute Zusammenarbeit zwischen Gehirn und Körper.

Zum Lesen benötigen wir flüssige Augenbewegungen, zum Schreiben eine funktionierende Hand-Auge-Koordination, und für jede Bewegung eine stabile Gleichgewichtssteuerung. Probleme in diesen Bereichen erschweren das Lernen – unabhängig von der Intelligenz.


Frühkindliche Reflexe beeinflussen grundlegende körperliche und psychische Reaktionsmuster. Wie bereits Ayres (1960) feststellte:


„Die Fähigkeit, aufrecht zu sitzen und still zu bleiben – und somit posturale Kontrolle als Voraussetzung für Lern- und Bewegungsfähigkeiten – erfordert zusätzlich zum neuromotorischen System auch eine gute sensorische Rückmeldung aus dem vestibulären und propriozeptiven System. (Ayres, 1960 in Roley et al., 2007)“

(„the ability to sit up and sit still required perceptual support from the vestibular and proprioceptive systems in addition to the neuro - motor systems, thus highlighting postural control as an essential foundation for more skilled academic and motor performance“) (Ayres, 1960 in Roley et al, 2007).


Einfach gesagt: Ganze Muskelgruppen müssen koordiniert mit dem Gleichgewichtssystem und dem Haltungsapparat zusammenarbeiten, damit ein Kind ruhig sitzen oder stehen kann. Diese Fähigkeit ist eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Lernen.


Kinder mit schwach ausgebildetem posturalem System können nicht ruhig sitzen und sich nur schwer länger konzentrieren. Ihr Gehirn muss sich ständig aktiv mit der Haltungsregulation beschäftigen – was eigentlich längst automatisiert sein sollte (idealerweise ab dem 3. Lebensjahr).


Goddard (2005) ergänzt: „Auch andere Bereiche können durch verzögerte motorische Entwicklung gefährdet sein. Hyperaktive Kinder benötigen ständige motorische Rückmeldungen, um ihre Umgebung richtig wahrzunehmen und ihr Gehirn in Gang zu halten. Deshalb können sie sich nicht auf eine Aufgabe konzentrieren.“


Wie können wir helfen?

Um einem Kind effektiv zu helfen, müssen wir herausfinden, ob die Ursache seiner Probleme physischer Natur ist – z. B. persistierende frühkindliche Reflexe. Wird dies festgestellt, wenden wir gezielte körperliche Übungen an, die die neuronale Verbindung zwischen Gehirn und Körper sowie zwischen verschiedenen Gehirnzentren verbessern. So schaffen wir eine stabile Grundlage für alle Lernbereiche.


Heute existieren weltweit verschiedene Methoden zur Inhibition persistierender Reflexe. Sie basieren auf unterschiedlichen Prinzipien: Einige nutzen Bewegungstherapie, andere Klangtherapie (auch kombiniert mit Licht), visuelle Übungen (z. B. Verhaltensoptometrie) oder sensorische Integration.

Beispiele für bewegungsbasierte Reflexintegrationsmethoden finden sich weltweit. In Europa zählen dazu unter anderem die Programme Primary Movement®, INPP und das Dore Programme. In den USA sind vor allem die Methoden Masgutova MNRI®, die Doman-Delacato-Methode sowie die Levinson-Methode verbreitet. In Australien werden Programme wie NeuWays, das STNR-Programm oder das Braintrain100 Developmental Movement Program eingesetzt. Zu den audio-visuellen Ansätzen gehört beispielsweise das Bérard Auditory Integration Training (AIT), das durch gezielte akustische Reize versucht, bestimmte Gehirnzentren zu aktivieren. Ähnlich arbeitet die Methode Quantum Reflex Integration™, die zusätzlich auch Lichtreize, wie etwa bei der Low-Level-Lasertherapie, verwendet.


Ich selbst arbeite mit der Methode der Neuro-Entwicklungsstimulation (NDS), die ich auf Basis meines Studiums der Physiotherapie, Sonderpädagogik, zahlreicher Fortbildungen und insbesondere der praktischen Erfahrung entwickelt habe. NDS kombiniert vor allem physiotherapeutische und sonderpädagogische Prinzipien. Die Tests und Übungen basieren auf der psychomotorischen Entwicklung des Kindes.


Fachleute wie Logopäd:innen, Psycholog:innen, Pädagog:innen und Sonderpädagog:innen können mit NDS arbeiten, wenn sie den theoretischen Einführungskurs und den praktischen Aufbaukurs „NDS Active Learning®“ erfolgreich absolviert haben.


Autorin des Artikels: PhDr. Marja Voleman, PhD

Veröffentlichungsdatum (Original): 27. 4. 2022

Datum der deutschen Übersetzung: 6. 7. 2025


 
 
 

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