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Dyslexie und Dysorthographie: Wenn Lesen und Schreiben zur täglichen Hürde werden

Dyslexie ist eine spezifische Lesestörung – entweder angeboren oder erworben durch eine Schädigung des Gehirns. Sie ist die häufigste Form der spezifischen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten (SESF) und äußert sich durch erhebliche Schwierigkeiten beim Erwerb der Lesefähigkeit.


Den Begriff prägte erstmals der deutsche Augenarzt Dr. Rudolf Berlin im Jahr 1887. Dyslexie betrifft auch Kinder mit überdurchschnittlicher Intelligenz. Sie ist gekennzeichnet durch Probleme beim genauen und/oder flüssigen Worterkennen, Schwierigkeiten in der Rechtschreibung und beim Dekodieren von Wörtern. Diese Probleme sind typischerweise die Folge einer Störung in der phonologischen Verarbeitung der Sprache.


Kinder mit Dyslexie lesen entweder langsam und stockend oder schnell und fehlerhaft, raten Wörter, verwechseln Buchstaben – besonders ähnliche Formen wie b–d–p. Sie murmeln Buchstaben leise vor sich hin, bevor sie das Wort laut aussprechen. Manche können mit den Augen keiner Zeile folgen oder springen unkoordiniert zwischen den Zeilen. Das Textverständnis leidet, da sich das Kind so sehr auf den Lesevorgang konzentrieren muss, dass es den Sinn des Gelesenen nicht erfassen kann.


Einige Fachleute vermuten, dass Dyslexie eine grundsätzliche Schwierigkeit ist, Symbole zu erkennen und zu verstehen. Deshalb haben betroffene Kinder oft auch Probleme mit Mathematik, Kartenlesen oder dem Erkennen von Verkehrszeichen. Studien belegen Auffälligkeiten im visuellen System (Stein & Walsh, 1997) sowie in der Verarbeitung akustischer Signale im Temporallappen (Witton et al., 1998).


Darüber hinaus zeigen viele Kinder mit Dyslexie motorische Defizite und Gleichgewichtsstörungen, was auf eine Dysfunktion des Kleinhirns (Cerebellum) hinweisen kann (Fawcett, Nicolson, Dean, 1996). MRT-Untersuchungen bestätigen Auffälligkeiten in der Struktur und Aktivität des Kleinhirns bei Erwachsenen mit Dyslexie.


Dyslexie im Vorschulalter

  • Vertauschen oder Auslassen von Lauten (z. B. s–l, r–l, p–b)

  • falsche Bedeutung von Wörtern

  • eingeschränktes Wortgedächtnis

  • Schwierigkeiten beim Reimen

  • Unfähigkeit, den ersten oder letzten Laut eines Wortes zu erkennen

  • Probleme, sich Gedichte zu merken

  • Probleme beim Abmalen und Nachzeichnen

  • schwaches Kurzzeitgedächtnis, Konzentrationsschwierigkeiten, Ungeschicklichkeit beim Anziehen oder Schuhebinden

  • Probleme mit Rechts-Links-Unterscheidung

  • Schwierigkeiten beim Nachklatschen von Rhythmen


Dyslexie im Grundschulalter

  • übermäßiger Energie- und Zeitaufwand bei schulischen Aufgaben

  • schnelle Ermüdung

  • langsames Arbeitstempo

  • hohe Fehlerquote

  • Auslassen von Wörtern oder Zeilen

  • Buchstabenverwechslungen (p–b–d, g–q, e–a)

  • Schwierigkeiten, das Alphabet, Wochentage, Monate oder Einmaleins zu lernen

  • Unsicherheit bei der Unterscheidung von rechts und links

  • eingeschränkter Wortschatz

  • grammatikalische Probleme

  • große Probleme beim Erlernen von Fremdsprachen

  • Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen

  • psychische Probleme: Rückzug, depressive Verstimmung, Aggression

Quelle: Navrátilová D., 2009


Dysorthographie

Dysorthographie ist eine spezifische Rechtschreibstörung, die sehr häufig in Verbindung mit Dyslexie auftritt. Sie betrifft nicht die gesamte Grammatik, sondern spezifische Fehlerquellen, wie:

  • Auslassen oder Verdrehen ähnlicher Buchstaben

  • Verschmelzungen, fehlerhafte Artikulation

  • falsche oder fehlende Kennzeichnung von Vokallängen oder Umlauten

  • Schwierigkeiten mit der Anwendung gelernter Rechtschreibregeln



Auch nach gezielter Förderung benötigen betroffene Kinder meist mehr Zeit für schriftliche Aufgaben. Besonders bei zeitlich begrenzten Tests oder Diktaten treten Fehler wieder auf – auch in Bereichen, die das Kind eigentlich beherrscht und mündlich korrekt begründen kann.


Dysorthographie im Grundschulalter

  • Schwierigkeiten bei kurzen, zeitlich begrenzten Schreibaufgaben – besonders bei Diktaten

  • Probleme zeigen sich auch im Fremdsprachenunterricht

  • Schwierigkeiten bei der Unterscheidung grafischer Symbole

  • häufige Umstellung der Buchstabenreihenfolge beim Schreiben

Quelle: Bartošová M. 2018 Specifické poruchy učení



Frühkindliche Reflexe und Dyslexie

Persistierende frühkindliche Reflexe (primäre Reflexe) können Symptome von Dyslexie und Dysorthographie verursachen – insbesondere:

  • Asymmetrischer tonischer Nackenreflex (ATNR)

  • Tonischer Labyrinthreflex (TLR)

  • Moro-Reflex


Persistierender ATNR

  • verhindert die Entwicklung flüssiger Augenbewegungen – notwendig fürs Lesen. Kinder lesen oft nur die linke Seite der Seite; den Übergang über die Mittelachse schaffen sie nur mit Kopfbewegung

  • beeinträchtigt die Zusammenarbeit beider Augen – das Kind sieht verschwommen oder doppelt, ohne es selbst zu merken

  • stört die Integration zwischen linker und rechter Gehirnhälfte – wichtige Voraussetzungen für Dominanz und Spezialisierung

  • beeinträchtigt Gleichgewicht und Hand-Auge-Koordination


Studie McPhillips, 2006 (Nordirland): Bei 739 Kindern im Alter von 7–9 Jahren hatten jene mit Leseschwierigkeiten signifikant häufiger einen aktiven ATNR.


Persistierender TLR

  • verschlechtert die Raumwahrnehmung – Kinder schätzen Distanzen schlecht ein

  • beeinträchtigt die Fähigkeit, zwischen rechts und links zu unterscheiden, erschwert das Erkennen dreidimensionaler Formen oder das Verständnis von Spiegelungen


Moro-Reflex

  • verursacht Aufmerksamkeitsprobleme

  • kann zu visuellem Stress führen


Dyslexie und Dysorthographie sind nicht nur sprachliche Störungen, sondern spiegeln oft tiefere Entwicklungsprozesse wider. Frühkindliche Reflexe, die nicht rechtzeitig gehemmt wurden, können das Lesen und Schreiben massiv erschweren. Zielgerichtete Bewegungsförderung – wie sie die Neuro-Entwicklungsstimulation (NDS Active Learning) bietet – kann helfen, diese Blockaden aufzulösen und Kindern den Weg zum erfolgreichen Lernen zu erleichtern.


Autorin: PhDr. Marja Voleman, PhD.

Veröffentlicht: 27.04.2022

Deutsche Übersetzung: 07.07.2025



Quelle:

  • FAWCETT, Angela J.; NICOLSON, Roderick I.; DEAN, Paul. Impaired performance of children with dyslexia on a range of cerebellar tasks. Annals of Dyslexia, 1996, 46.1: 259-283.

  • NAVRÁTILOVÁ D., 2009, Obecné projevy dyslexie v mateřské, základní a střední škole

  • STEIN, John; WALSH, Vincent. To see but not to read; the magnocellular theory of dyslexia. Trends in neurosciences, 1997, 20.4: 147-152.

  • VOLEMANOVÁ, Marja. 2019. Primární reflexy, opomíjený faktor problémů učení a chování u dětí. 2. rozšířené vydání. Statenice : INVTS, 2019. 978-80-907369-0-0

  • WITTON, C., et al. Sensitivity to dynamic auditory and visual stimuli predicts nonword reading ability in both dyslexic and normal readers. Current biology, 1998, 8.14: 791-797.

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