Dyslexie und Dysorthographie: Wenn Lesen und Schreiben zur täglichen Hürde werden
- Adam Klatovský
- 7. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Dyslexie ist eine spezifische Lesestörung – entweder angeboren oder erworben durch eine Schädigung des Gehirns. Sie ist die häufigste Form der spezifischen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten (SESF) und äußert sich durch erhebliche Schwierigkeiten beim Erwerb der Lesefähigkeit.
Den Begriff prägte erstmals der deutsche Augenarzt Dr. Rudolf Berlin im Jahr 1887. Dyslexie betrifft auch Kinder mit überdurchschnittlicher Intelligenz. Sie ist gekennzeichnet durch Probleme beim genauen und/oder flüssigen Worterkennen, Schwierigkeiten in der Rechtschreibung und beim Dekodieren von Wörtern. Diese Probleme sind typischerweise die Folge einer Störung in der phonologischen Verarbeitung der Sprache.
Kinder mit Dyslexie lesen entweder langsam und stockend oder schnell und fehlerhaft, raten Wörter, verwechseln Buchstaben – besonders ähnliche Formen wie b–d–p. Sie murmeln Buchstaben leise vor sich hin, bevor sie das Wort laut aussprechen. Manche können mit den Augen keiner Zeile folgen oder springen unkoordiniert zwischen den Zeilen. Das Textverständnis leidet, da sich das Kind so sehr auf den Lesevorgang konzentrieren muss, dass es den Sinn des Gelesenen nicht erfassen kann.
Einige Fachleute vermuten, dass Dyslexie eine grundsätzliche Schwierigkeit ist, Symbole zu erkennen und zu verstehen. Deshalb haben betroffene Kinder oft auch Probleme mit Mathematik, Kartenlesen oder dem Erkennen von Verkehrszeichen. Studien belegen Auffälligkeiten im visuellen System (Stein & Walsh, 1997) sowie in der Verarbeitung akustischer Signale im Temporallappen (Witton et al., 1998).
Darüber hinaus zeigen viele Kinder mit Dyslexie motorische Defizite und Gleichgewichtsstörungen, was auf eine Dysfunktion des Kleinhirns (Cerebellum) hinweisen kann (Fawcett, Nicolson, Dean, 1996). MRT-Untersuchungen bestätigen Auffälligkeiten in der Struktur und Aktivität des Kleinhirns bei Erwachsenen mit Dyslexie.
Dyslexie im Vorschulalter
Vertauschen oder Auslassen von Lauten (z. B. s–l, r–l, p–b)
falsche Bedeutung von Wörtern
eingeschränktes Wortgedächtnis
Schwierigkeiten beim Reimen
Unfähigkeit, den ersten oder letzten Laut eines Wortes zu erkennen
Probleme, sich Gedichte zu merken
Probleme beim Abmalen und Nachzeichnen
schwaches Kurzzeitgedächtnis, Konzentrationsschwierigkeiten, Ungeschicklichkeit beim Anziehen oder Schuhebinden
Probleme mit Rechts-Links-Unterscheidung
Schwierigkeiten beim Nachklatschen von Rhythmen
Dyslexie im Grundschulalter
übermäßiger Energie- und Zeitaufwand bei schulischen Aufgaben
schnelle Ermüdung
langsames Arbeitstempo
hohe Fehlerquote
Auslassen von Wörtern oder Zeilen
Buchstabenverwechslungen (p–b–d, g–q, e–a)
Schwierigkeiten, das Alphabet, Wochentage, Monate oder Einmaleins zu lernen
Unsicherheit bei der Unterscheidung von rechts und links
eingeschränkter Wortschatz
grammatikalische Probleme
große Probleme beim Erlernen von Fremdsprachen
Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen
psychische Probleme: Rückzug, depressive Verstimmung, Aggression
Quelle: Navrátilová D., 2009
Dysorthographie
Dysorthographie ist eine spezifische Rechtschreibstörung, die sehr häufig in Verbindung mit Dyslexie auftritt. Sie betrifft nicht die gesamte Grammatik, sondern spezifische Fehlerquellen, wie:
Auslassen oder Verdrehen ähnlicher Buchstaben
Verschmelzungen, fehlerhafte Artikulation
falsche oder fehlende Kennzeichnung von Vokallängen oder Umlauten
Schwierigkeiten mit der Anwendung gelernter Rechtschreibregeln
Auch nach gezielter Förderung benötigen betroffene Kinder meist mehr Zeit für schriftliche Aufgaben. Besonders bei zeitlich begrenzten Tests oder Diktaten treten Fehler wieder auf – auch in Bereichen, die das Kind eigentlich beherrscht und mündlich korrekt begründen kann.
Dysorthographie im Grundschulalter
Schwierigkeiten bei kurzen, zeitlich begrenzten Schreibaufgaben – besonders bei Diktaten
Probleme zeigen sich auch im Fremdsprachenunterricht
Schwierigkeiten bei der Unterscheidung grafischer Symbole
häufige Umstellung der Buchstabenreihenfolge beim Schreiben
Quelle: Bartošová M. 2018 Specifické poruchy učení
Frühkindliche Reflexe und Dyslexie
Persistierende frühkindliche Reflexe (primäre Reflexe) können Symptome von Dyslexie und Dysorthographie verursachen – insbesondere:
Asymmetrischer tonischer Nackenreflex (ATNR)
Tonischer Labyrinthreflex (TLR)
Moro-Reflex
Persistierender ATNR
verhindert die Entwicklung flüssiger Augenbewegungen – notwendig fürs Lesen. Kinder lesen oft nur die linke Seite der Seite; den Übergang über die Mittelachse schaffen sie nur mit Kopfbewegung
beeinträchtigt die Zusammenarbeit beider Augen – das Kind sieht verschwommen oder doppelt, ohne es selbst zu merken
stört die Integration zwischen linker und rechter Gehirnhälfte – wichtige Voraussetzungen für Dominanz und Spezialisierung
beeinträchtigt Gleichgewicht und Hand-Auge-Koordination
Studie McPhillips, 2006 (Nordirland): Bei 739 Kindern im Alter von 7–9 Jahren hatten jene mit Leseschwierigkeiten signifikant häufiger einen aktiven ATNR.
Persistierender TLR
verschlechtert die Raumwahrnehmung – Kinder schätzen Distanzen schlecht ein
beeinträchtigt die Fähigkeit, zwischen rechts und links zu unterscheiden, erschwert das Erkennen dreidimensionaler Formen oder das Verständnis von Spiegelungen
Moro-Reflex
verursacht Aufmerksamkeitsprobleme
kann zu visuellem Stress führen
Dyslexie und Dysorthographie sind nicht nur sprachliche Störungen, sondern spiegeln oft tiefere Entwicklungsprozesse wider. Frühkindliche Reflexe, die nicht rechtzeitig gehemmt wurden, können das Lesen und Schreiben massiv erschweren. Zielgerichtete Bewegungsförderung – wie sie die Neuro-Entwicklungsstimulation (NDS Active Learning) bietet – kann helfen, diese Blockaden aufzulösen und Kindern den Weg zum erfolgreichen Lernen zu erleichtern.
Autorin: PhDr. Marja Voleman, PhD.
Veröffentlicht: 27.04.2022
Deutsche Übersetzung: 07.07.2025
Quelle:
FAWCETT, Angela J.; NICOLSON, Roderick I.; DEAN, Paul. Impaired performance of children with dyslexia on a range of cerebellar tasks. Annals of Dyslexia, 1996, 46.1: 259-283.
NAVRÁTILOVÁ D., 2009, Obecné projevy dyslexie v mateřské, základní a střední škole
STEIN, John; WALSH, Vincent. To see but not to read; the magnocellular theory of dyslexia. Trends in neurosciences, 1997, 20.4: 147-152.
VOLEMANOVÁ, Marja. 2019. Primární reflexy, opomíjený faktor problémů učení a chování u dětí. 2. rozšířené vydání. Statenice : INVTS, 2019. 978-80-907369-0-0
WITTON, C., et al. Sensitivity to dynamic auditory and visual stimuli predicts nonword reading ability in both dyslexic and normal readers. Current biology, 1998, 8.14: 791-797.
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